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Annahmeverzug des Arbeitgebers

Autor:
Domenic Böhm
9 Minuten Lesezeit

Wenn man im Arbeitsrecht von Annahmeverzug spricht, ist damit immer gemeint, dass der Arbeitgeber in Verzug gerät. Verzug bedeutet, dass der Arbeitgeber seinen Pflichten nicht nachgekommen ist.

Es geht dann um eine Situation, in der ein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung anbietet. Der Arbeitgeber weist dieses Angebot allerdings zurück. Der Arbeitnehmer kann seine Arbeitsleistung somit nicht erbringen.

Ein Beispiel: Der Arbeitnehmer erscheint pünktlich vor dem Betriebsgelände des Arbeitgebers. Dieser verwehrt ihm aber in unrechtmäßiger Weise den Zutritt zu seinem Arbeitspatz. Der Arbeitnehmer kann seine Arbeitsleistung nicht erbringen.

Ein solcher Annahmeverzug hat wiederum Folgen für die gegenseitigen Pflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber, sowie für die Lohnzahlungen.

Erfahren Sie in diesem Artikel alles zum Thema Annahmeverzug und Vergütungsansprüche.

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Begriff des Annahmeverzugs

Ein Annahmeverzug im Sinne des Arbeitsrechts liegt vor, wenn der Arbeitgeber die Annahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers verweigert.

Das heißt, der Arbeitnehmer bietet seine Arbeitskraft nach § 613 BGB persönlich, am richtigen Ort (Betrieb), zur richtigen Zeit (vereinbarte Arbeitszeit) und im arbeitsfähigen und leistungsfähigen Zustand (z.B. nicht arbeitsunfähig, krank) an.

Lehnt der Arbeitgeber das Angebot ab, z.B. durch unberechtigtes Hausverbot oder bei unwirksamer Kündigung, so kommt er in Verzug. Ein Annahmeverzug liegt vor. Der Arbeitgeber ist also verpflichtet, dem Arbeitnehmer die Erfüllung der Arbeitspflicht zu ermöglichen. Er erfüllt seine Mitwirkungshandlung, indem er dem Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt und ihm die entsprechende Arbeit zuweist. Erst dann hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, seine Arbeitspflicht zu erfüllen.

Der Arbeitgeber ist zur Fortzahlung der Vergütung unter folgenden Voraussetzungen gem. § 615 Satz 1 BGB verpflichtet:

  • Im ersten Schritt muss ein erfüllbares Arbeitsverhältnis bestehen. Der Arbeitnehmer ist also faktisch in der Lage, seine Arbeitsleistung zu erbringen.

Strittig ist aber, ob die Lohnfortzahlungspflicht für die Dauer eines Gerichtsverfahrens besteht, in welchem der Arbeitnehmer gegen eine Kündigung des Arbeitgebers klagt (Kündigungsschutzprozess) und die Kündigungsfrist bereits abgelaufen ist. Denn wenn das Arbeitsgericht die Kündigung für unwirksam erklärt, ist das Arbeitsverhältnis nie beendet worden und bestand auch zur Zeit des Gerichtsverfahrens weiter fort.

  • Der Arbeitnehmer ist leistungsfähig und leistungsbereit. Diese Voraussetzung ist z.B. nicht gegeben, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist.

  • Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitsleistung gemäß §§ 293 ff. BGB angeboten. Die Rechtsprechung geht hier davon aus, dass in der Regel der Arbeitgeber es unterlassen hat, seiner Pflicht zur Mitwirkung nachzukommen. Er muss dazu dem Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen und ihm die entsprechende Arbeit zuweisen. Dann ist weder ein tatsächliches Angebot des Arbeitnehmers zur Arbeit (Gang zur Arbeitsstelle), noch ein wörtliches Angebot (telefonische Erklärung zur Leistungsbereitschaft) erforderlich.

Für den Fall, dass der Arbeitgeber den Lohn nicht rechtzeitig ausbezahlt hat darf der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung zurückhalten. Der Arbeitnehmer ist dann berechtigt, die Arbeitsleistung erst nach Zahlung zu erbringen (Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers). Die Pflicht zur Arbeitsleistung des Arbeitnehmers ist dann aber nur aufgeschoben bis zur Zahlung.

  • Die Annahme der Arbeitsleistung wurde vom Arbeitgeber zu Unrecht verweigert. Es gibt keinen rechtlichen Grund für den Arbeitgeber, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht anzunehmen.

Beispiele:

  • Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer gekündigt, diese Kündigung ist aber unwirksam.

  • Der Arbeitnehmer gibt die vertraglich vereinbarte Aufgabe einem anderen Arbeitnehmer.

  • Der Arbeitgeber beschließt einseitig (ohne Einigung mit dem Arbeitnehmer) den Arbeitnehmer von der Arbeit freizustellen.

  • Die Arbeitsleistung ist unterblieben, das heißt der Arbeitnehmer hat zu einer Zeit nicht gearbeitet, zu der er entsprechend seinen Vorgaben im Arbeitsvertrag eigentlich hätte arbeiten müssen.

Leistungsvermögen des Arbeitnehmers

Leistungsfähigkeit

Nach § 297 BGB ist die Erbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer möglich, wenn er leistungsfähig ist. Leistungsfähig ist er dann, wenn er imstande ist, die Tätigkeit tatsächlich zu verrichten. Wenn er dann dem Arbeitgeber die Leistungserbringung anbietet und dieser die Annahme verweigert, kommt der Arbeitgeber in Annahmeverzug.

Bietet der Arbeitnehmer aber die Leistung an, obwohl er nicht leistungsfähig ist, entsteht kein Annahmeverzug. Warum der Arbeitnehmer leistungsfähig ist (z.B. aus gesundheitlichen Gründen), spielt dabei keine Rolle.

Ein Beispiel: Ein kranker und deshalb arbeitsunfähiger Arbeitnehmer erscheint am Arbeitsplatz. Aufgrund der Erkrankung darf er aber nicht arbeiten und wird vom Arbeitgeber nach Hause geschickt. Hier kommt der Arbeitgeber aufgrund der Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers trotz fehlender Annahme nicht in Annahmeverzug.

Eine Ausnahme besteht dann, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt, nur eingeschränkt leistungsfähig ist. In diesem Fall muss der Arbeitgeber ihm eine Tätigkeit zuweisen, die leidensgerecht ist, also der gesundheitlichen Verfassung des Arbeitnehmers angepasst ist. Die Voraussetzungen dafür sind:

Diese Zuweisung ist dem Arbeitgeber möglich und zumutbar.

  1. Der Arbeitnehmer ist objektiv zur leidensgerechten Leistung imstande und will subjektiv auch eine solche ausführen. Zu beachten ist hier, dass das Bundesarbeitsgericht entschieden hat, dass der Arbeitnehmer so selbst dafür sorgen kann, dass er zur leidensgerechten Leistung außerstande ist, indem er sagt, er möchte diese Leistung nicht erbringen (BAG v. 17.8.2011 – 5 AZR 251/10).

Versäumt der Arbeitgeber diese Möglichkeit, liegt ein Annahmeverzug vor.

Darlegungs- und Beweislast

Die Darlegungs- und Beweislast bestimmt, wer im Gerichtsverfahren was vorbringen und für welche Informationen einen Beweis erbringen muss. Ist der Partei das nicht möglich, so geht das zu ihren Lasten.

Die Darlegungs- und Beweislast, dass der Arbeitnehmer objektiv nicht imstande oder subjektiv nicht bereit war, die Leistung zu erbringen, liegt beim Arbeitgeber.

Hierbei ist es zunächst ausreichend, wenn der Arbeitgeber Indizien vorträgt, die auf die fehlende Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers hinweisen.

Der Arbeitnehmer hat daraufhin die Möglichkeit, Gegenbeweise anzubringen, die das Vorliegen seiner Leistungsfähigkeit zeigen. Gelingt ihm das nicht, wird davon ausgegangen, dass der Arbeitnehmer während des Verzugszeitraums tatsächlich leistungsunfähig bzw. leistungsunwillig war.

Beispielweise läuft dies im Fall einer Krankheit folgendermaßen ab: Behauptet der Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer aufgrund von Krankheit während des Streitzeitraums nicht leistungsfähig war, hat er solche Indizien vorzulegen, die Rückschlüsse auf eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zulassen. Da der Arbeitgeber in der Regel keine genaueren Kenntnisse über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers hat, sind die Anforderungen an die vorzulegenden Indizien meist gering. In Frage kommen beispielsweise die Krankheitszeiten des Arbeitnehmers vor und nach dem Zeitraum, in den der strittige Verzug fällt.. Der Arbeitnehmer kann daraufhin gegebenenfalls seine behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbinden, um der Behauptung des Arbeitgebers begründet widersprechen zu können. Die Ärzte können sich dann zum Bestehen oder Nichtbestehen einer Krankheit äußern. Kann die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers selbst nach Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nicht geklärt werden, gilt die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers als nicht erfüllt.

Dies hat zur Folge, dass das Gericht annimmt, der Arbeitnehmer sei objektiv imstande und subjektiv gewillt gewesen, die Leistung zu erbringen.

Nimmt der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugszeitraums eine andere Tätigkeit auf, wird der Annahmeverzug dadurch nicht beendet. Dann besteht aber die Pflicht zur Anrechnung des anderweitigen Verdienstes, so das Bundesarbeitsgericht (BAG v. 5.11.2003 - 5 AZR 562/02).

Ist ein Arbeitnehmer krankheitsbedingt auf Zeit arbeitsunfähig und wird in diesem Zeitraum vom Arbeitnehmer gekündigt, so kann er den Arbeitgeber trotz der Arbeitsunfähigkeit in Annahmeverzug versetzen. Dafür muss er eine Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht erheben oder Widerspruch gegen die Kündigung einlegen. So bringt er seine weitere Leistungsbereitschaft zum Ausdruck. Kündigt der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer

Annahmeverzug bei Kündigung

Der Arbeitgeber gerät bei unberechtigter fristloser Kündigung sofort und bei unberechtigter ordentlicher Kündigung nach Ablauf der Kündigungsfrist in Annahmeverzug. Dies kann er verhindern, indem er den Arbeitnehmer auffordert, die Arbeit aufzunehmen. Der Arbeitnehmer muss seine Arbeitsleistung aber weder wörtlich noch tatsächlich anbieten, er darf vielmehr die Aufforderung abwarten.

War der Arbeitnehmer bei Ablauf der Kündigungsfrist arbeitsunfähig (erkrankt), so entsteht der Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit (Genesung) mitgeteilt hat und seine Arbeitswilligkeit mitteilt.

Wenn das Arbeitsgericht entschieden hat, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht beendet wurde, die Kündigung also unwirksam war, muss der Lohn vom Arbeitgeber für die Zeit vom Ausscheiden bis zum Wiedereintritt in den Betrieb nachgezahlt werden. Nachgezahlt werden muss auch dann, wenn das Gericht das Arbeitsverhältnis nicht gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst hat (§ 9 KSchG).

Etwaige zwischenzeitlich gezahlte Lohnersatzleistungen werden gem. § 615 S. 2 BGB angerechnet, also vom nachzuzahlenden Lohn abgezogen. Gem. § 115 SGB X geht der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Lohnzahlungen auf den Leistungsträger (Sozialversicherung) bis zur Höhe der erbrachten Leistungen über, wird hier also auch angerechnet.

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Anderer Fall des Annahmeverzugs

Weiter gibt es Fälle, in denen der Arbeitgeber die Leistung des Arbeitnehmers annehmen möchte, es aber faktisch nicht kann z.B. Stromausfall, Betriebsstörung, keine Rohstoffe.

Der Arbeitgeber trägt aber das sog. Betriebsrisiko, also das Risiko dafür, dass Betriebsstörungen und -ausfälle passieren, dadurch der Betrieb eingeschränkt wird und somit gegebenenfalls weniger Gewinn erwirtschaftet werden kann. Dazu gehört auch das Risiko, die Arbeit des leistungsbereiten und leistungswilligen Arbeitnehmers nicht annehmen zu können. Er muss diesem daher die vereinbarte Vergütung fortzahlen. Durch einen Tarifvertrag kann das Betriebsrisiko aber minimiert werden.

Auch kann einzelvertraglich vereinbart werden, dass der Arbeitnehmer (nicht Leiharbeitnehmer, § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG), z.B. bei Betriebsstörungen mit einer Suspendierung seines Beschäftigungsverhältnisses einverstanden ist und somit eine Lohnzahlungspflicht entfällt. Dies ist aufgrund des Widerspruchs zum Arbeitnehmerschutz äußerst bedenklich, und wegen der schwächeren Verhandlungsposition des Arbeitnehmers bei Einstellung abzulehnen, vgl. MünchArbR, Boewer, § 79 Rn. 76, 2. Auflage, vgl. Schaub ArbHandbuch, § 101, Rn.11, 9. Auflage.

Vergütungsansprüche

Kommt es zu einem Annahmeverzug durch den Arbeitgeber, ist der Arbeitnehmer berechtigt, für die nicht geleistete Arbeit die arbeitsvertraglich vereinbarte Vergütung zu verlangen. Abgezogen wird aber der Wert dessen, was dem Arbeitnehmer durch das Unterbleiben der Arbeitsleistung erspart geblieben ist oder durch andere Tätigkeit erworben wurde, vgl. § 615 BGB.
Ein Beispiel: Der Arbeitnehmer wird gekündigt und freigestellt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Er findet sofort eine neue Beschäftigung. Dann stellt sich die Unwirksamkeit der Kündigung heraus. Der ursprüngliche Arbeitgeber muss Lohn fortzahlen. Abgezogen wird aber der Betrag des Lohns aus der neuen Beschäftigung.

Entscheidet ein Arbeitsgericht, dass eine Kündigung unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis nicht beendet ist, gilt für diese Anrechnung: Angerechnet wird dem Arbeitnehmer, was

  • er durch andere Tätigkeiten erwirtschaftet hat
  • er verdient hätte, wenn er eine ihm zumutbare Arbeit angenommen und diese nicht böswillig unterlassen hätte
  • ihm an öffentlich-rechtlichen Leistungen infolge seiner Arbeitslosigkeit aus der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung, etc. gezahlt wurde.

Eine böswillige Unterlassung liegt dann vor, wenn der Arbeitnehmer vorwerfbar (er ist also dafür verantwortlich) und vorsätzlich (also wissentlich und willentlich) und ohne hinreichenden Grund eine Tätigkeit nicht annimmt, die ihm angeboten wird. Dazukommen muss, dass der Arbeitgeber durch diese Nichtannahme dem Arbeitgeber mutwillig schaden möchte.

Die angebotene Arbeit muss dem Arbeitnehmer zumutbar sein. Um dies zu ermitteln, müssen alle Umstände beachtet werden und nach Treu und Glauben anhand der Einzelfallbetrachtung entschieden werden. Zumutbarkeit liegt in der Regel bei einer betriebsbedingten Kündigung (Kündigungsgrund liegt im Betrieb selbst) und einer personenbedingten Kündigung (Kündigungsgrund liegt in der Person, nicht aber im Verhalten der Person) vor. Unzumutbarkeit hingegen liegt in der Regel bei einer außerordentlichen Kündigung vor, weil hier meist das Ansehen des Arbeitnehmers negativ beeinträchtigt ist.

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Autor: Domenic Böhm

Domenic Böhm ist Partner der Sozietät SYLVENSTEIN Rechtsanwälte und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er berät Mandanten sowohl im gesamten kollektiven, als auch individuellen Arbeitsrecht. Die betreuten Gremien reichen vom 1er BR-Gremium bis hin zu KBR-Gremien. Schwerpunkt bildet insbesondere der Bereich Umstrukturierung. Er ist ausgebildeter Wirtschaftsmediator (MuCDR), sowie zugelassene Gütestelle nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 BaySchlG. Stationen seiner juristischen Ausbildung waren München, Lausanne (CH), Tokyo (JPN) und New York (USA).
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